Wenn Häuser sprechen könnten, wäre die Geschichte der jüdischen Familie Katzenstein aus der Kasseler Riedwiesensiedlung in Kirchditmold sicher längst erzählt. Angeregt durch einen kurzen Bericht in einer Chronik dieser Siedlung aus dem Jahr 2019, begibt sich nun eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der Klassen 10a und 10d des Friedrichsgymnasiums auf Spurensuche, um das Schicksal des Nervenarztes Dr. John Katzenstein, seiner Frau Resi und den drei Töchtern Ilse, Kathrin und Lore zu erforschen und an die Familie, die Kassel bereits 1933 aufgrund zunehmender Bedrohung verlassen musste, zu erinnern. Begleitet wird das Projekt von Geschichtslehrer René Mallm und Deutschlehrerin Christine Jakubowsky.
Im Kasseler Stadtarchiv fand sich überraschend umfangreiches Material, welches seit fast drei Jahrzehnten unbeachtet liegen geblieben war. Die Kasseler Ethnologin Monica Domej-Gaul, die mittlerweile nach Laos ausgewandert ist, hatte die Unterlagen zuletzt bearbeitet, geordnet und um ein umfangreiches Interview mit Lore Katzenstein ergänzt. Es war ein glücklicher Zufall, dass Frau Domej-Gaul der Arbeitsgruppe in einem Videotelefonat ihre Unterstützung anbot. Um die historischen Dokumente zu sichten und sich einen Überblick über die Lebenswege der fünf Familienmitglieder zu verschaffen, machten sich Schüler/-innen und Lehrkräfte schließlich heute, am 84. Jahrestag der Reichspogromnacht, gemeinsam auf den Weg ins Archiv. Beim Blättern in den vielfältigen Dokumenten ergab sich bereits zum Auftakt des Projekts das erschütternde Bild einer Kasseler Familie, die in dieser Stadt auf ein glückliches und erfülltes Leben hoffte, aber bereits sehr früh mit nachbarschaftlichen Anfeindungen und Bedrohungen konfrontiert wurde.
Der heutige Besuch im Stadtarchiv wirkt nach. Alle an diesem Projekt Beteiligten sehen sich danach in ihrem Anliegen bestärkt, an die Familie Katzenstein zu erinnern. Es wird weiterer Recherchen, Gespräche und auch Besuche im Stadtarchiv bedürfen, um diesem Anliegen gerecht zu werden. Noch ist offen, welche Ergebnisse dieser sicherlich längere Arbeitsprozess hervorbringen wird – von Textdokumenten über einen Audioguide am Wohnhaus der Familie bis hin zu einer filmischen Verarbeitung ist alles denkbar. Aber eines ist sicher: Die Geschichte der Familie Katzenstein wird nun endlich erzählt werden.
JAK