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Edward Snowden, Whistleblower – Verräter des eigenen Landes oder Verfechter der Privatsphäre?
In Verbindung mit der 26. Verleihung des Bürgerpreises „Glas der Vernunft“ am Staatstheater Kassel, der dieses Jahr an den amerikanischen Whistleblower Edward Snowden vergeben wird, fand das Kassler Jugendsymposion mit dem Thema „zwischen Gewissensentscheidung und Rechtsbruch“ an der Freien Waldorfschule Kassel am 24. September 2016, einen Tag vor der Preisverleihung, statt.
[custom_frame_left][/custom_frame_left] Weil der Preisträger als politischer Flüchtling und potentieller Asylbewerber zu dem Podiumsgespräch und der Verleihung nicht nach Deutschland einreisen konnte, stand der Autor Bernhard Schlink, der ein Buch über Snowden und seine Enthüllungen auf den Markt gebracht hat, für die circa 70 Schülerinnen und Schüler aus Kassels Schulen und Umland zur Verfügung. Der Preis wird seit 1991 an Persönlichkeiten vergeben, die von einem Ausschuss nach bestimmten Kriterien ausgewählt werden; die Früchte der Aufklärung weitertragend, Vernunft und Toleranz über Gesetz und Verbot stellend. Dieses Jahr wurde sich für Edward Snowden entschieden, da er die ideologischen Grenzen überwunden hat und sich ständiger persönlicher Gefahr aussetzt, das Risiko einer Verurteilung wegen Rechtsbruchs für das Allgemeinwohl der globalen Bevölkerung eingehend. Als Snowden, der für eine private, von der National Security Agency (NSA) engagierte Agentur arbeitete, die rechtswidrigen Spionageakte des Geheimdienstes erkannte, war er bereit, einen hohen Preis dafür zu zahlen, das moralisch Richtige zu tun und den Rest der Welt darüber in Kenntnis zu setzen, dass die NSA mit ihren gesammelten Daten missbräuchlich umgeht. Das Motiv des Whistleblowers war die Nichteinhaltung der Vorschriften der NSA, der Umgang der Dienste mit den Daten; und weil die Instanz des Geheimdienstes ihn nicht vor einer Verurteilung hätte retten können, wandte Snowden sich direkt – vorerst jedoch unerkannt – an die Medien. Er glaubt daran, dass die Enttäuschung, die er erfuhr und mit der er schließlich auch den Rest der Weltbevölkerung konfrontierte, dazu führt, dass der Fehler behoben und eine Korrektur vorgenommen wird. „Meine größte Sorge nach meinen Enthüllungen ist die, dass sich nichts ändert“, sagt Snowden.
[custom_frame_left][/custom_frame_left] Sich mit den Fragen des Symposions auseinandersetzend äußert Prof. Dr. Bernhard Schlink sich auch zu der misslichen Lage, in der Snowden sich zurzeit befindet. In Moskau, Russland, im Exil und Asyl residierend, kann er nicht in seine Heimat Amerika zurückkehren und auch in kein anderes Land – beispielsweise Deutschland – einwandern, da sich die Länder nicht mit der Großmacht USA anfeinden wollen. Kehrte er zurück, würde Snowden sofort verhaftet und einem fairen, aber bezüglich jeglicher Freisprechung aussichtslosen Gerichtsprozess unterzogen – er hat klar gegen das amerikanische Recht verstoßen und könnte in einem Prozess den Anklagepunkt mit keinem Argument entschärfen. Denn in den USA würde nicht nach Rechtmäßig- oder Widrigkeit gefragt; Snowden könnte nicht auf Handeln wegen Schutzes des Allgemeinwohls plädieren und es würde ihn auch niemand nach Moral fragen – nach amerikanischem Recht würde Edward Snowden umgehend zu mehreren tausend Jahren Haft mit hocheingeschränktem Kontakt zur Außenwelt verurteilt werden.
Edward Snowden handelte zum Wohl des Rechtsstaates, zum Wohl der Bevölkerung und global haben seine Handlungen eine Rückwirkung auf wahrscheinlich jeden von uns; so könnten die Enthüllungen auch eine Ursache für das Scheitern des deutschen Freihandelsabkommen mit Amerika, TTIP, sein. Mit Klugheit, Mut, Toleranz und dem Aufgeben seiner eigenen Freiheit zeigte Snowden der Welt, dass man dem Staat nicht einfach blind vertrauen soll; altruistisch gab er für seine Überzeugung sein gesamtes bisheriges Leben auf und vollbrachte somit ein Werk, das manch einer wohl mit einer Heldentat vergleichen würde.
Doch wieso wird diese Ansicht in Amerika nicht geteilt, wieso widerstrebt dem amerikanischen Rechtssystem eine Begnadigung durch den Präsidenten? Ist ein Verbrecher tatsächlich der, der ein Verbrechen aufdeckt, oder ist es der, der den Enthüller des eigenen Verbrechens einen Verräter schimpft? Schlink glaubt allerdings daran, dass der Glaube der Gesellschaft sich mit der Zeit noch wandelt und sich die Sicht auf Snowdens Handeln ändert, er glaubt an den Fortschritt und daran, dass die Entscheidung des Whistleblowers in vielleicht 20 Jahren überall als richtig erachtet wird. „Amerika ändert oft sein Gesicht“, so Schlink und damit schließt er eine Begnadigung Snowdens in der Zukunft nicht aus. Bisher jedoch sieht der Geheimdienst NSA den Missbrauch der gesammelten Daten nicht als verwerflich an und legitimiert das illegale Handeln mit einer Sicherheitsvorkehrung wegen Terror- und Staatsgefahr. In der Vergangenheit ist Amerika Opfer terroristischer Anschläge gewesen und auch bis heute besteht immer das Risiko eines weiteren Anschlags – Schlink bezeichnet die Überwachung, diese Maßnahme, als Angst. „Ein großes Land ist in allem groß, […], groß auch in der Angst und in der Besessenheit, groß zu bleiben. Es fühlt sich groß bedroht und in dieser großen Angst und Panik vor einer Krise, zeichnet sich diese große Angst in großen Gesetzen aus.“
Bei der Preisverleihung am Sonntag, den 25. Sep. 2016, betonte nicht nur Prof. Dr. Bernhard Schlink die vermeintliche Heldentat Edward Snowdens, sondern auch der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, der als Redner geladen war, dass „dieser Mann die Welt verändert“ habe. Er sei gegen den Strom geschwommen, habe sich gegen die Gesetze und die Regierung gestellt, um die Quelle zu erreichen. Er habe es wegen der Betroffenen getan, wegen des Geheimdienstes und der Regierung; es ging ihm um sein Land und die Integrität seiner Institution. Er, Edward Snowden, sei lediglich ein Whistleblower, ein Hinweisgeber, und kein Verräter. Mit seiner Zivilcourage, die illegalen Staatsgeheimnisse aufzudecken, ist Snowden ein Nothelfer. Mit seinem Handeln habe er zwar die amerikanischen Geheimhaltungsgesetze verletzt, doch die eigentlichen Verbrecher seien die, die ihn dafür anklagen, so Heribert Prantl, das amerikanische Recht dürfe nicht das Unrecht schützen.
[custom_frame_right][/custom_frame_right] Mit diesen hohen Anklang und Applaus findenden Reden Schlinks, Prantls und des Oberbürgermeisters Bertram Hilgen – und den dynamischen musikalischen Einlagen der Bigband von Heinrich-Schütz- und Jakob-Grimm-Schule – wird die Preisverleihung des „Glases der Vernunft“ an Edward Snowden gefeiert, der sich unter live-Zuschaltung aus Moskau für diese Ehrung herzlich bedankt und sich auch noch mit einigen Worten an das gut besuchte Opernhaus des Kasseler Staatstheaters wendet. „Ladies and gentlemen, I come for you today […], because history is not over. There are nearly a thousand of us in this hall and with my experience is evidence of any, is it that sometimes a single person is all that it takes. Each and every one of you came here today with a commitment to reason true words […].”
Mit dem Versprechen Bertram Hilgens, dass das „Glas der Vernunft“, das Edward Snowden an diesem Tage persönlich hätte überreicht werden sollen, bis zu dem Tag im Kassler Stadtmuseum ausgestellt sein wird, bis der Preisträger selbst es sich als freier amerikanischer Staatsbürger abholen kann, endet die offizielle Veranstaltung und es gibt einen Sektempfang im Foyer des Theaters. Es wird sich nun zeigen, was die Zeit mit sich trägt und wann Edward Snowden den verdienten Kasseler Bürgerpreis vor Ort entgegennehmen kann.
Sofie Höfert